Wahrheit und Wirklichkeit sind relative Begriffe. Wir können daher davon ausgehen, dass unsere erlebte Wirklichkeit ein Konstrukt ist, das Menschen durch Verhalten und Kognition gemeinschaftlich herstellen. Das "Diskurs-Unternehmen" trägt dem Rechnung, indem unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen etwa auf den Märkten in die Geschäftsstrategie einfließen. Wie aber kann das gewaltige Potenzial eines Methoden-Frameworks realisiert werden?
Ein solches Framework sorgt dafür, dass unterschiedliche Methoden zur richtigen Zeit, in der richtigen Zusammenstellung sowohl Wirklichkeit konstruieren (in Form von Markt, Innovation und Zuverlässigkeit) als auch überprüfen, ob dieses Konstrukt anschlussfähig an andere Wirklichkeitskonstrukte ist. So wurde lange bezweifelt, ob regenerative Energieerzeugung die traditionellen Kraftwerke ersetzen oder wenigstens unterstützen könne. Erst mit dem radikalen Ausstieg aus der Atomenergie werden neue Wege der Energieerzeugung notgedrungen beschritten.
Wie aber kann man sich diesen dialektischen Prozess vorstellen? Im Rahmen einer Studie von Roland Berger wurde Folgendes festgestellt:
- Erfolgreiche Unternehmen wenden mehrere Methoden bei der Produktentwicklung an und nutzen diese intensiv.
- Erfolgreiche Unternehmen wählen die richtigen Methoden zur rechten Zeit aus.
- Erfolgreiche Unternehmen kombinieren verschiedene Methoden aus Forschung und Entwicklung, Marktforschung, Vertrieb, Qualitätsmanagement, Logistik und Projektmanagement.
Zu einem ähnlichen Fazit kommt die Engineering-Studie der Steinbeis-Stiftung für Wirtschaftsförderung: "Methodisch unterstützt zu arbeiten bringt Vorteile und Verbesserungen für den Ablauf und die Ergebnisse von Engineering-Aufgaben. Mit den klassischen Engineering-Methoden bieten sich in verschiedensten Branchen langjährig erprobte und erfolgreiche Vorgehensweisen für die Durchführung der notwendigen Engineering-Aufgaben an. Eine Verknüpfung verschiedener Methoden erfordert als Voraussetzung (jedoch) gemeinsame standardisierte Basisdaten, womit auch die Kommunikation zwischen verschiedenen Fachdisziplinen verbessert wird."
Entwickeln für eine ungewisse Zukunft
Ein Beispiel für die erfolgreiche Integration verschiedener Entwicklungsmethoden liefert der Autozulieferer Johnson Controls. In mehr als 120 Werken werden weltweit und just in time komplette Sitzsysteme hergestellt. Das bietet einzigartige Größenvorteile und Entwicklungskompetenzen in den Bereichen Sicherheit, Komfort, Qualität, Leistungsgarantien, Qualitätsanmutung, Innovation und Design. Die Aufgabe der Methodenintegration wurde an das Risikomanagement herangetragen, um mit einer nachhaltigen Verknüpfung und Durchgängigkeit von Engineering-, Quality- und Manufacturing-Methoden die Grundlage für eine herausragend leistungsfähige Organisation zu schaffen. Der weltweite Prozess zur Methodenintegration wird "Quality Chain" genannt (Bild 1).Dies ist die erste Ausbaustufe, die aktuell um Methoden für Änderungsmanagement und Lessons Learned erweitert wird. Seitens der Konzernzentrale werden weltweit Wissensbausteine zur Verfügung gestellt, die in den Werken zur Anwendung kommen. Dabei wird bei jedem neuen Projekt genau analysiert, welche Auswirkungen die Änderungen für eine spezielle Applikation auf das Produktdesign, die Stabilität und die Sicherheit haben.
So soll sichergestellt werden, dass sich bei Variantenentwicklungen die geringe Entwicklungskapazität hauptsächlich um Änderungen kümmert, die für das neue Produkt entscheidend sind. Gleichzeitig werden alle Verbesserungen, Problembehebungen und Korrekturmaßnahmen an die Zentrale zurückgemeldet, wo entschieden wird, ob sie in den Erfahrungsschatz der weltweiten Werke eingehen oder nicht.
Durch diese Standardisierung von Best-in-Class-Produkten und -Prozessen verfügt Johnson Controls über marktführende Technologien, eine hohe Kapazitätsauslastung und erzielt eine hohe Produktivität. Dies führte dazu, dass sich das Unternehmen in den hart umkämpften globalen Märkten herausragend gut behauptet hat.
Im Bann der Postmoderne
Wenn nichts mehr via Tradition, vermeintlich gesichertes Wissen und andere Automatismen festliegt, wenn alles so und auch anders möglich ist, wird das als Kontingenz bezeichnet. Im Westen ist dies ein Ausdruck von Freiheit, vom Ausbruch aus religiöser, traditioneller und feudaler Enge. Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann nannte Kontingenz das "Midas-Gold der Moderne". Wenn Tradition und Konvention nicht vorgeben, was zu tun ist, stecken wir in der Falle des Immer-wieder-entscheiden-Müssens. Tatsächlich müssen wir heute unsere (Um-)Welt und uns selbst immer neu erfinden – der Fluch der Postmoderne!Wie aber soll man unter der Bedingung ständiger Veränderung richtig handeln? Aus unternehmerischer Perspektive kann die Antwort lauten: Das Diskurs-Unternehmen verschafft sich einen Vorteil, indem es einen Organisationsrahmen einrichtet, in dem Entscheidungen durch ein vernetztes und methodisches Vorgehen abgesichert sind. So kann das Management helfen, die vielfältigen Kompetenzen zu stärken, die im steten Fluss von unterschiedlichen und konkurrierenden Wirklichkeitskonstruktionen notwendig sind. Auf diese Weise können mutige und richtige Entscheidungen hergeleitet und getragen werden.
Dies ist aber kein hohler Mut à la Neuer Markt um 2000, sondern gründlich unterfüttert durch vielfältige Methoden-Kompetenzen und -Anwendungen. Dieser kühle Mut versetzt eine Unternehmensführung in die Lage, sich aus bestehenden Marktblockaden zu befreien, Neues zu schaffen und trotz gewagter Innovationssprünge erfolgreich zu bleiben.
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Was denken Sie? Wie sichern Sie Innovationen? Wie werden Innovationsentscheidungen bei Ihnen getroffen? Verfügt Ihre Organisation über Methoden zur Absicherung von Entscheidungen?
Ihr Marcus Schorn